4/I/2021 Demokratie braucht öffentlich-rechtliche Medien!

Status:
geändert angenommen

Die Liquidation des Staatsrundfunks war eine der wichtigsten politischen Konsequenzen aus der unseligen Ära des Faschismus. In der Bundesrepublik sollten politische, aber staatsferne öffentliche Medien – von der Zivilgesellschaft kontrolliert – neben den vielfältigen privaten Medienhäusern Garanten für publizistische Vielfalt und gesellschaftspolitische Meinungsbildung sein.

Durch Gesetze, Staatsverträge und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts  sind  die Rahmenbedingungen der öffentlich-rechtlichen Medien sowie ihr Auftrag gesetzt und fortgeschrieben,  ist eine bedarfsgerechte, sich an dem Auftrag orientierte Finanzierung gesichert und eine Entwicklungsperspektive gewährleistet worden.

Die Rahmenbedingungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben sich seitdem dramatisch verändert:

Der Rundfunk- und Fernsehbereich ist für private Anbieter geöffnet worden.

Die technologische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben den Medienmarkt auch in Deutschland vollständig umgekrempelt. Mit den internationalen Technologiekonzernen und Streamingdiensten agieren heute Marktteilnehmer, die regulierungsfrei nicht mehr nur als Plattformen für Medienanbieter fungieren, sondern für Unterhaltung, Sport und vermehrt Politik eigene Angebote machen und ihre marktbeherrschende Stellung kontinuierlich ausbauen. Trotz des rundfunkartigen Auftritts unterliegen viele dieser Anbieter nicht den vorhandenen Regularien, die über die Landesmedienanstalten ansonsten für die privaten Anbieter gelten. Das führt zu Ungleichgewichten und kann auch zu Verzerrungen beitragen.

Die Zahl der Informationsquellen hat sich also dramatisch erhöht; die beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien konkurrieren mit den privaten Anbietern, die ihre Programme über Werbung speisen und den kostenpflichtigen Streamingdiensten, die sich über Abonnenten finanzieren. Daraus ist, vor allem in den neuen Bundesländern, eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der geltenden Beitragsregelung entstanden.

Doch gleichzeitig steht die öffentliche Informationsvielfalt schwer unter Druck. Zum einen: Durch die Konzentrationsprozesse im Verlagswesen reduziert sich das inhaltliche Angebot, insbesondere auch in der Regionalberichterstattung. Zum anderen:  Das Netz erlaubt neben einem sorgfältigen Qualitätsjournalismus die Verbreitung von Nachrichten und Kommentaren ohne gesicherten Wahrheitsgehalt. Die Mechanismen im Netz führen dazu, dass die Nutzung von Informationen und Kommentierungen immer mehr zur Bestätigung eigener Vorstellungen zusammenschmilzt.

Die alte These: „Nur wenige können Meinung machen“ gilt immer weniger. Das Internet erlaubt praktisch jedem, zum Anbieter zu werden, macht jeden auch zum eigenen Programmdirektor. Die Strukturierung von Informationen durch soliden Qualitätsjournalismus ist weitestgehend nicht mehr gegeben.

Parallel hat sich das Kommunikationsverhalten der Bevölkerung dramatisch verändert. Der Fernsehapparat als familiäres Lagerfeuer hat weitgehend ausgedient. Während die Älteren dem Bewegtbild im linearen Fernsehen noch weitgehend treu sind, wandern die Jüngeren ins Netz ab, werden ihre eigenen Programmdirektoren selbst dann noch, wenn sie öffentlich-rechtliche Inhalte konsumieren. Überspitzt formuliert: Was im Netz nicht präsent ist, existiert auch nicht! Deshalb werden die Mediatheken immer bedeutsamer; wird immer wichtiger, Inhalte zu produzieren und alle zur Verfügung stehenden Ausspielwege zu nutzen.

Infolge von Globalisierung, Digitalisierung und internationalen Fluchtbewegungen ist auch die parlamentarische Demokratie unter Druck geraten, wird ihre Effektivität und ihre Repräsentanz in Zweifel gezogen. China zeigt: Wirtschaftliche Prosperität geht – mindestens zur Zeit – noch ohne Demokratie, Teile der Klimabewegung sind bereit, zur Durchsetzung klimapolitischer Ziele Kernelemente demokratischer Praxis außer Kraft zu setzen, selbst in Kernländern der Europäischen Union ist die Distanzierung von der parlamentarischen Demokratie auf dem Vormarsch. Für uns ist die parlamentarische Demokratie ein Gut, das nicht zur Disposition steht. Nur im gesellschaftlichen Diskurs, Konsens und Kompromiss eingeschlossen, lässt sich eine sozialverträgliche und friedliche Gesellschaft weiterentwickeln. Dazu braucht es Meinungs- und Pressefreiheit und Einrichtungen, die das gewährleisten, die die hohen gemeinwohlorientierten medienpolitischen Qualitätsanforderungen erfüllen.

Ländern ohne relevante öffentlich-rechtliche Medien ( z.B Italien, USA ) fehlt dieser Resonanzboden für den öffentlichen Diskurs. Die Angriffe auf die unabhängigen Medien seitens der polnischen Regierung, die Attacken der neuen britischen Regierung gegenüber der BBC , die Erschwerung von Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalistinnen weltweit zeigen: Es geht nicht um die Zukunft von Rundfunk und Fernsehen,  sondern um die Zukunft der Demokratie. Hugh Greene hatte die Legitimation für einen öffentlich-rechtlichen Auftrag durch einen unabhängigen Rundfunk gesehen, der frei von einer direkten Einflussnahme der Regierung informiert und demokratische Willensbildung der Bevölkerung ermöglicht.

Der Ruf der öffentlich-rechtlichen Medien als Sachwalter eines untadeligen Qualitätsjournalismus wird – viel stärker als früher – in Frage gestellt.  Gab es früher einen Konsens, dass es eine Wahrheit gibt und verschiedene Meinungen, so pochen  heute viele  auf ihre eigene Wahrheit. Selbstverständlichkeiten geraten ins Schwimmen. Rechtspopulistische, mitunter auch liberale und konservative Politiker stellen die Staatsferne der  öffentlich-rechtlichen Medien auch in Deutschland in Frage, sehen gesellschaftliche Realität nicht mehr hinreichend abgebildet, schwadronieren von einem  öffentlichen Meinungsterror und unterstellen tendenziöse Berichterstattung. In dem Zuge wird die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge immer mehr verwischt, Verunsicherung produziert, das gesellschaftliche Klima aufgeheizt. Dem muss offensiv entgegengetreten werden. Es geht um Deutungshoheit. Jede Gleichschaltung einer Gesellschaft beginnt mit der Ausschaltung eines unabhängigen Journalismus.

Gerade die öffentlich-rechtlichen Medien sind mit ihren gut recherchierten Informationen unverzichtbar. Sie erlauben mit ihrem breiten inhaltlichen Angebot eine politische Willensbildung. Die Qualität öffentlich-rechtlicher Medien reduziert sich jedoch nicht auf saubere Recherche im Bereich Politik und Gesellschaft, sondern schlägt sich auch in den anderen Genres nieder, wenn es zum Beispiel um kulturelle Vielfalt geht, in der Unterhaltung Werte und Würde statt Voyeurismus gepflegt wird, im Sport auch Raum gibt zur Beschreibung von Fehlentwicklung wie Doping.

Natürlich gilt auch für die öffentlich-rechtlichen Medien, dass sie sich der Kritik zu stellen haben. Und: Die zivilgesellschaftlich Kontrolle durch die Gremien muss so ausgestattet sein, dass sie den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird.

Welche Konsequenzen ziehen wir aufgrund dieser veränderten Rahmenbedingungen?

  1. Die öffentlich-rechtlichen Medien bleiben einer der Eckpfeiler einer lebendigen Demokratie. Aufgrund der Tatsache, dass demokratiekritische Positionen auf dem Vormarsch sind, wächst ihre Bedeutung. Sie zukunftsfest zu machen ist eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben von Politik.
  2. Dabei müssen sie staatsfern bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Jahr 2014 hier die richtigen Maßstäbe gesetzt. Sie sind nicht Instrument irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe noch einer staatlichen Organisation. Sie informieren, recherchieren, kontrollieren, gewährleisten Diskurse.
  3. Ihre Kontrolle obliegt den aus der Zivilgesellschaft gebildeten Gremien. Die gesellschaftlichen Entwicklungen müssen sich in ihrer Zusammensetzung niederschlagen. Die Gremien müssen in der Lage sein, Kontrolle effektiv wahrzunehmen.
  4. Die Finanzierung erfolgt aus Beiträgen. Durch ein bedarfsgerechtes Budget sind die öffentlich-rechtlichen Medien gehalten, den Programmauftrag in eigener Regie zu gestalten. Bewährte Kontrollmechanismen wie KEF und Landesrechnungshöfe gewährleisten die Kontrolle wirtschaftlichen Gebarens.
  5. Das Ziel ist die Produktion von qualitativ wertvollen Inhalten. Die Wahl der eigenen Ausspielwege – Radio- und Fernsehprogramme, Onlineauftritte, Streaming und Mediatheken – entscheiden sie in eigener Autonomie. Die Nutzung von Ausspielwegen Dritter ist möglich, wenn eine angemessene Erreichung von Teilen der Gesellschaft anders nicht gewährleistet werden kann.
  6. Die öffentlich-rechtlichen Medien gewährleisten eine Grundversorgung in mindestens einem Fernsehvollprogramm. Die schließt neben Politik, Information und Kultur auch Sport und Unterhaltung ein.
  7. Aufgrund der Finanzierungsregelung sind Angebote für die Gesamtheit der Bevölkerung vorzuhalten. Die gesamte Gesellschaft ist Adressat der Programme.
  8. Durch die Finanzierungsregelungen darf sich das Angebot nicht ausschließlich nach Einschaltquoten richten; es sind auch Programmanteile für Minderheiten in unserer Gesellschaft vorzusehen..
  9. Die Gesetzgeber gewährleisten, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Produkten der öffentlichen Medien gewährleistet ist.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Version der Antragskommission
Version der Antragskommission:

Annahme der Punkte 1 bis 9. Die übrigen Abschnitte werden zur Begründung:

  1. Die öffentlich-rechtlichen Medien bleiben einer der Eckpfeiler einer lebendigen Demokratie. Aufgrund der Tatsache, dass demokratiekritische Positionen auf dem Vormarsch sind, wächst ihre Bedeutung. Sie zukunftsfest zu machen ist eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben von Politik.
  2. Dabei müssen sie staatsfern bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Jahr 2014 hier die richtigen Maßstäbe gesetzt. Sie sind nicht Instrument irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe noch einer staatlichen Organisation. Sie informieren, recherchieren, kontrollieren, gewährleisten Diskurse.
  3. Ihre Kontrolle obliegt den aus der Zivilgesellschaft gebildeten Gremien. Die gesellschaftlichen Entwicklungen müssen sich in ihrer Zusammensetzung niederschlagen. Die Gremien müssen in der Lage sein, Kontrolle effektiv wahrzunehmen.
  4. Die Finanzierung erfolgt aus Beiträgen. Durch ein bedarfsgerechtes Budget sind die öffentlich-rechtlichen Medien gehalten, den Programmauftrag in eigener Regie zu gestalten. Bewährte Kontrollmechanismen wie KEF und Landesrechnungshöfe gewährleisten die Kontrolle wirtschaftlichen Gebarens.
  5. Das Ziel ist die Produktion von qualitativ wertvollen Inhalten. Die Wahl der eigenen Ausspielwege – Radio- und Fernsehprogramme, Onlineauftritte, Streaming und Mediatheken – entscheiden sie in eigener Autonomie. Die Nutzung von Ausspielwegen Dritter ist möglich, wenn eine angemessene Erreichung von Teilen der Gesellschaft anders nicht gewährleistet werden kann.
  6. Die öffentlich-rechtlichen Medien gewährleisten eine Grundversorgung in mindestens einem Fernsehvollprogramm. Die schließt neben Politik, Information und Kultur auch Sport und Unterhaltung ein.
  7. Aufgrund der Finanzierungsregelung sind Angebote für die Gesamtheit der Bevölkerung vorzuhalten. Die gesamte Gesellschaft ist Adressat der Programme.
  8. Durch die Finanzierungsregelungen darf sich das Angebot nicht ausschließlich nach Einschaltquoten richten; es sind auch Programmanteile für Minderheiten in unserer Gesellschaft vorzusehen..
  9. Die Gesetzgeber gewährleisten, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Produkten der öffentlichen Medien gewährleistet ist.
Beschluss: geändert angenommen
Text des Beschlusses:

Annahme der Punkte 1 bis 9. Die übrigen Abschnitte werden zur Begründung:

  1. Die öffentlich-rechtlichen Medien bleiben einer der Eckpfeiler einer lebendigen Demokratie. Aufgrund der Tatsache, dass demokratiekritische Positionen auf dem Vormarsch sind, wächst ihre Bedeutung. Sie zukunftsfest zu machen ist eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben von Politik.
  2. Dabei müssen sie staatsfern bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Jahr 2014 hier die richtigen Maßstäbe gesetzt. Sie sind nicht Instrument irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe noch einer staatlichen Organisation. Sie informieren, recherchieren, kontrollieren, gewährleisten Diskurse.
  3. Ihre Kontrolle obliegt den aus der Zivilgesellschaft gebildeten Gremien. Die gesellschaftlichen Entwicklungen müssen sich in ihrer Zusammensetzung niederschlagen. Die Gremien müssen in der Lage sein, Kontrolle effektiv wahrzunehmen.
  4. Die Finanzierung erfolgt aus Beiträgen. Durch ein bedarfsgerechtes Budget sind die öffentlich-rechtlichen Medien gehalten, den Programmauftrag in eigener Regie zu gestalten. Bewährte Kontrollmechanismen wie KEF und Landesrechnungshöfe gewährleisten die Kontrolle wirtschaftlichen Gebarens.
  5. Das Ziel ist die Produktion von qualitativ wertvollen Inhalten. Die Wahl der eigenen Ausspielwege – Radio- und Fernsehprogramme, Onlineauftritte, Streaming und Mediatheken – entscheiden sie in eigener Autonomie. Die Nutzung von Ausspielwegen Dritter ist möglich, wenn eine angemessene Erreichung von Teilen der Gesellschaft anders nicht gewährleistet werden kann.
  6. Die öffentlich-rechtlichen Medien gewährleisten eine Grundversorgung in mindestens einem Fernsehvollprogramm. Die schließt neben Politik, Information und Kultur auch Sport und Unterhaltung ein.
  7. Aufgrund der Finanzierungsregelung sind Angebote für die Gesamtheit der Bevölkerung vorzuhalten. Die gesamte Gesellschaft ist Adressat der Programme.
  8. Durch die Finanzierungsregelungen darf sich das Angebot nicht ausschließlich nach Einschaltquoten richten; es sind auch Programmanteile für Minderheiten in unserer Gesellschaft vorzusehen..
  9. Die Gesetzgeber gewährleisten, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Produkten der öffentlichen Medien gewährleistet ist.
Beschluss-PDF: