20/I/2021 Für eine umfassende (Gesundheits-)Politik der sexuellen Selbstbestimmung

Status:
geändert angenommen

Das derzeitige Gesundheitssystem beschränkt Frauen in ihrem Recht auf körperliche Integrität, Autonomie und selbstbestimmte Familienplanung. Frauen in Deutschland sehen sich im Falle einer ungewollten Schwangerschaft nicht nur mit einer gesetzlichen Austragungspflicht konfrontiert, sondern zugleich auch mit vielerlei Einschränkungen und Verboten, die den Frauen nicht nur die ohnehin schwierige Entscheidung erschweren, sondern auch ihre Gesundheit gefährden. Damit wird Frauen das Recht auf eine eigenständige Entscheidung genommen und zugleich die Fähigkeit, diese zu treffen, abgesprochen.

Dabei ist der Paragraph 218 ein historisches Relikt. Er besteht seit 1872, wurde 1933 wieder eingeführt und ist bis heuteerhalten geblieben. Auch nach der Wiedervereinigung wurde die Chance nicht genutzt, das weitaus fortschrittlichere Abtreibungsrecht der DDR (in den ersten drei Monaten konnte eine Abtreibung ohne Pflichtberatung erfolgen) zu übernehmen.

Aber nicht nur die rechtliche Lage, sondern auch die medizinische Infrastruktur erschwert es Frauen, eigenständig über ihren Körper zu entscheiden. So ist es im ländlichen Raum zunehmend schwierig, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, da immer weniger Kliniken und Praxen diesen anbieten. Kliniken in katholischer Trägerschaft führen fast ausschließlich keine Schwangerschaftsabbrüche durch. Medizinisches Personal kann laut dem § 12 des Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetzes ohne Angabe von Gründen die Durchführung oder Beteiligung an Schwangerschaftsabbrüchen verweigern und das obwohl dieser Eingriff, z.B. oft auch notwendig nach einer Fehlgeburt, mit der häufigste gynäkologische Eingriff ist. Da ein Schwangerschaftsabbruch kein verpflichtender Teil der gynäkologischen Fachärzt*innenausbildung ist, werden immer mehr Gynäkolog*innen ausgebildet, ohne diesen Eingriff zu erlernen, z.B. da ihre Klinik diesen Eingriff grundsätzlich nicht durchführt. Aus diesem Grund und durch die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen finden sich immer weniger Ärzt*innen, die noch bereit bzw. in der Lage sind, diesen Eingriff vorzunehmen.”

Neben der medizinischen Infrastruktur muss auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen geändert werden, um dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung zu entsprechen. So sollen gesetzliche und private Krankenkassen zukünftig alle Schwangerschaftsabbrüche bezahlen und nicht zwischen welchen ohne und mit medizinischer oder kriminologischer Indikation unterscheiden. Frauen haben das Recht, diesen Eingriff auf eigenen Wunsch vorzunehmen, und sollten in dieser ohnehin nicht einfache Situation nicht auch noch dazu gezwungen werden, ihre Einkommensverhältnisse offenzulegen bzw. die Kosten von je nach Eingriff oder Praxis zwischen 300 und 600 Euro selbst zu tragen.

Zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gehört neben dem Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch auch das Recht auf Unterstützung bei der Entscheidung für ein Kind. Frauen muss es in unserer Gesellschaft ermöglicht werden, die eigene Lebensplanung trotz eines Kindes weiter verfolgen zu können. Ungewollt Schwangere sind durch das Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz dazu verpflichtet, an einem externen Beratungsgespräch teilzunehmen und nach der Zwangsberatung eine dreitägige Frist vor dem Eingriff einzuhalten. Gesetzgeberisch ist festgehalten, dass diese Beratung zwangsweise das Ziel haben muss, die Schwangerschaft zu erhalten. Dieses Gesetz ist bevormundend, stellt Frauen unter Generalverdacht und spricht ihnen ab, eine eigenständige Entscheidung treffen zu können. Frauen unterliegen in unserem Gesundheitssystem noch immer strukturellen Benachteiligungen und Kontrollen, die ihren Ursprung in einer männlich dominierten Gesellschaft haben und diese weiter stärken. Gesellschaftliche Diskussionen, wie die um den Paragraphen 219a, zeigen deutlich, dass Frauen das Recht auf eine eigenständige Entscheidung über ihren Körper von Teilen der Gesellschaft noch immer abgesprochen wird.  Um das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung zu stärken, fordern wir deshalb:

  • Den Paragraphen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
  • Den Paragraphen 218 ff. StGB zu streichen.
  • Die Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum durch den Staat sicherzustellen.
  • Abtreibung als verpflichtender Bestandteil in die gynäkologische Facharztausbildung einzubinden.
  • Die verpflichtende Kostenübernahme für den Eingriff und die mit dem Eingriff verbunden Aufwendungen durch die Krankenkassen.
  • Die Kostenübernahme für Verhütungsmittel sowie die Tests für sexuell übertragbare Krankheiten, damit die sexuelle Selbstbestimmung nicht von den finanziellen Mitteln abhängig ist.
  • Soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.
  • Die Streichung des Zwangs zu einem Beratungsgespräch hin zu einem Anrecht auf ein externes Beratungsgespräch auf Wunsch der Schwangeren. Dazu muss die weitere Finanzierung der Beratungsstellen sichergestellt bleiben. Ein medizinisches Beratungsgespräch durch den*die eigene*n Gynäkolog*in bleibt natürlich erhalten.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Version der Antragskommission
Version der Antragskommission:

 

Um das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung zu stärken, fordern wir deshalb:

  • Den Paragraphen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
  • Den Paragraphen 218 ff. StGB zu streichen.
  • Die Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum durch den Staat sicherzustellen.
  • Abtreibung als verpflichtender Bestandteil in die gynäkologische Facharztweiterbildung einzubinden.
  • Die verpflichtende Kostenübernahme für den Eingriff und die mit dem Eingriff verbunden Aufwendungen durch die Krankenkassen.
  • Die Kostenübernahme für Verhütungsmittel sowie die Tests für sexuell übertragbare Krankheiten, damit die sexuelle Selbstbestimmung nicht von den finanziellen Mitteln abhängig ist.
  • Soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.
  • Die Streichung des Zwangs zu einem Beratungsgespräch hin zu einem Anrecht auf ein externes Beratungsgespräch auf Wunsch der Schwangeren. Dazu muss die weitere Finanzierung der Beratungsstellen sichergestellt bleiben. Ein medizinisches Beratungsgespräch durch den*die eigene*n Gynäkolog*in bleibt natürlich erhalten.
Beschluss: geändert angenommen
Text des Beschlusses:

 

Annahme in geänderter Fassung und Weiterleitung an die SPD-Bundestagsfraktion und den Bundesparteitag:

Um das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung zu stärken, fordern wir deshalb:

  • Den Paragraphen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
  • Den Paragraphen 218 ff. StGB zu streichen.
  • Die Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum durch den Staat sicherzustellen.
  • Abtreibung als verpflichtender Bestandteil in die gynäkologische Facharztweiterbildung einzubinden.
  • Die verpflichtende Kostenübernahme für den Eingriff und die mit dem Eingriff verbunden Aufwendungen durch die Krankenkassen.
  • Die Kostenübernahme für Verhütungsmittel sowie die Tests für sexuell übertragbare Krankheiten, damit die sexuelle Selbstbestimmung nicht von den finanziellen Mitteln abhängig ist.
  • Soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.
  • Die Streichung des Zwangs zu einem Beratungsgespräch hin zu einem Anrecht auf ein externes Beratungsgespräch auf Wunsch der Schwangeren. Dazu muss die weitere Finanzierung der Beratungsstellen sichergestellt bleiben. Ein medizinisches Beratungsgespräch durch den*die eigene*n Gynäkolog*in bleibt natürlich erhalten.
Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: