73/I/2021 Lernen zu lehren im 21. Jahrhundert – Neue Herausforderungen in der Lehrer*innenbildung konsequent angehen

Status:
Annahme

Wir fordern eine grundlegende Reform der Lehrer*innenbildung in Niedersachsen, die aktuelle Herausforderungen und Chancen effektiv aufgreift und thematisiert. Dazu zählt konkret für uns:

  • Wandel hin zu einer dynamischeren Lehrer*innenbildung, die nicht im Status Quo verhaftet bleibt,
  • ein verpflichtendes, flächendeckendes und schnell erreichbares Aus- und Fortbildungsangebot auch im ländlichen Raum, dass zentral gesteuert, attraktiv gestaltet und niedrigschwellig konzipiert ist,
  • das Lehramtsstudium kompetenzorientiert statt wissensvermittelnd aufbauen, Fachmodule im Bachelor durch (Sonder-)Pädagogik und Didaktik ersetzen,
  • inhaltliche und praxisnahe Schwerpunkte wie Inklusion, digitale Bildung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) verpflichtend in Studium, Vorbereitungsdienst und Weiter- und Fortbildung verankern,
  • alle Stufen der Lehrer*innenbildung selbst digitaler und inklusiver gestalten, um positive Orientierungen für Lehrer*innen zu schaffen,
  • organisatorisch und personell eine Vernetzung der Phasen der Lehrer*innenbildung fördern und fordern,
  • Ausfinanzierung und Förderung innovativer, landesweiter Forschungs- und Praxisprojekte, die laufend die Umstrukturierung der niedersächsischen Lehrer*innenbildung begleiten und evaluieren.

Wir nehmen den digitalen wie sozialen Wandel der Institution Schule auf und erkennen die Chancen und Möglichkeiten, um zu einem solidarischeren und besseren System zu gelangen, das Kinder und Jugendliche individuell fördert und auf das Leben in der modernen Gesellschaft vorbereitet. Dafür wollen wir die Grundlagen mit einer Reform schaffen.

 

Begründung:

Lehrer*in zu werden, ist ein langer und aufwändiger Weg in Deutschland, die Schwerpunkte in der universitären Ausbildung liegen in den meisten Bundesländern bei fachlichen Kompetenzen in den späterhin zu unterrichtenden Fächern. Das 18-monatige Referendariat soll dann, anschließend an erste Praxiserfahrungen in Praktika, die reale Umsetzung dieser erworbenen Kompetenzen aus der Hochschulbildung vermitteln. Dass dabei zwischen schriftlichen Stundenkonzeptionen, Prüfungsunterricht nach Schema F und regulärer Lehrtätigkeit wenig Zeit zum Verschnaufen bleibt, ist hinlänglich bekannt. Was schließlich bleibt, ist die relativ isolierte Lehrtätigkeit auf Grundlage der erworbenen Kompetenzen – und das meist auf dem Stand der Zeit des Abschlusses.

Damit muss jedoch Schluss sein! Der Zahn der Zeit schreckt nicht vor der Lehrer*innenbildung zurück. Wir müssen uns Gedanken um eine grundlegende Neugestaltung der Ausbildung unserer Lehrer*innen machen, sowohl strukturell, als auch inhaltlich. Es ist unsere Aufgabe als politische Kraft mit Gestaltungswillen im Bereich „Schule“, nicht im veralteten Status Quo zu verbleiben und uns den Neuerungen der vergangenen Jahre weiterhin zu verschließen.

Strukturell muss die Lehrer*innenbildung dynamischer und im Rahmen „lebenslangem Lernens“ auch verpflichtend mit Weiter- und Fortbildungen zu spezifischen Themenfeldern versehen werden. Es darf nicht mehr ausreichen, dass Lehrende nach ihrer Ausbildung in der Theorie bis zur Pensionierung vor sich hin unterrichten. Die Fort- und Weiterbildungen müssen zentral gesteuert und in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden können. Das Angebot muss attraktiv und niedrigschwellig allen Lehrer*innen zur Verfügung stehen. Die Studienseminare und Hochschulen müssen über das Land gleichmäßig verteilt Bildungsangebote auch für Lehrkräfte im ländlichen Raum anbieten. Schon im Studium müssen angehende Lehrer*innen darauf vorbereitet werden, auch über ihre akademische Laufbahn hinaus auf Fortbildungen und den Willen zu aktuellem didaktischen und pädagogischen Fachwissen zurückzugreifen.

Inhaltlich steht die Lehrer*innenbildung vor einem großen Problem. Neue Aufgabenfelder kommen dazu, alte Themen verlieren zumeist aber nicht an Gültigkeit. Das Studium weiter durch neue Pflichtmodule zu verlängern kann nicht das Ziel sein, wie also den neuen Herausforderungen des Lehrens gerecht werden?

Unser Vorschlag: Den Schwerpunkt der akademischen Ausbildung verschieben und sich von einem maßgeblich fachlich geprägten Bachelorstudium verabschieden! Schon an der Universität muss der Lehralltag mit seinen pädagogischen und didaktischen Herausforderungen an erster Stelle stehen. Eine fachliche Grundausbildung der zu unterrichtenden Themenkomplexe sowie sinnvoll und an persönlichen Erkenntnisinteressen variierbare Vertiefungen über den künftigen Lehrstoff hinaus sind eine weitaus flexiblere und nützlichere Lösung, als die verpflichtende Aneignung von weit über das Pensum hinausgehenden Sachkompetenzen, die viele angehende Lehrer*innen im Studium scheitern lassen. Die dadurch freiwerdenden Studienanteile können dann in die neuen Herausforderungen der heutigen Schulzeit fließen:

Da wäre vor allem Anderen die Inklusion zu benennen. Nur Lehrer*innen, die um Methoden der Binnendifferenzierung, dem Umgang mit heterogenen Lerngruppen und Nicht-Muttersprachler*innen umfassend informiert sind, können Inklusion im Schulalltag ermöglichen. Nur ein inklusiver Lehr- und Lernstil ermöglicht uns eine gleichberechtigte Teilhabe für alle jungen Menschen, unabhängig von Behinderung, Herkunft, Geschlecht oder anderen gesellschaftlich produzierten Benachteiligungen. Unser oberstes Ziel als Sozialdemokrat*innen muss es sein, allen Menschen die gleichen Chancen auf Bildung und ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – vor allem unsere Lehrkräfte müssen daher über die theoretische Einbettung von „Inklusion“ und Methoden der praktischen Umsetzung umfassend geschult werden.

Neben der Inklusion befasst sich die aktuelle Debatte in der Erziehungswissenschaft auch zunehmend mit der Digitalisierung der Schulen und der Medienbildung als zu vermittelnder Kompetenz für Schüler*innen. Auch hier zeigen sich elementare Probleme, wenn diese Themen im Unterricht z.B. auf Grund mangelndem Wissens der Lehrkräfte nicht unterrichtet werden. Der sichere Umgang mit digitalen Endgeräten und basalen Softwarelösungen wie Textprogrammen, Präsentationsprogrammen oder Recherchemöglichkeiten im Internet ist in der heutigen Zeit aus der Berufswelt nicht mehr wegzudenken. Doch auch im Privaten ist es zunehmend für junge Menschen wichtig, Mittel und Wege zum Erkennen von Falschmeldungen im Internet oder dem sicheren Umgang mit persönlichen Daten zu lernen. Auch hier sehen wir den Auftrag, im Rahmen der Lehrer*innenbildung entsprechende Kurse verpflichtend in das Curriculum einzupflegen, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

Nicht zuletzt müssen vor allem pädagogische Kompetenzen mehr Gewicht in der Ausbildung von Lehrer*innen haben. Cyber-Mobbing, aktuelle soziologische und psychologische Zugänge zum Umgang mit und zwischen Schüler*innen und auch eine Abkehr von altbekannten Lehrmodellen wie dem Einzelunterricht (eine Lehrperson in einer geschlossenen Lerngruppe) müssen verpflichtende Bestandteile der Ausbildung werden. Letzteres ist ein noch immer in den meisten Köpfen verankerter, alternativloser Zugang zu Unterricht, der längst in der erziehungswissenschaftlichen Forschung widerlegt wurde und durch „kooperative Lehrformen“ ersetzt werden sollte. Unterricht mit zwei Lehrkräften oder weiteren Sozial- und Sonderpädagog*innen muss angehenden Lehrer*innen beigebracht werden bereits Unterrichtenden ebenfalls.

Wir wollen die Bestrebungen der Erziehungswissenschaft an den Hochschulen natürlich nicht kleinreden. Es gibt, beispielsweise bei der Zentralen Einrichtung für Lehrerbildung [sic!] in Göttingen sowohl ein Zertifikatsprogramm zum Thema Inklusion, als auch zum Thema Digitale Bildung. Doch sind solche Bemühungen lange nicht ausreichend, schneiden bestimmte Themenfelder nicht konsequent genug an und – und das ist das Wichtigste – sind auf rein freiwilliger Basis und oft mit erheblich mehr Zeitaufwand durch zusätzliche Veranstaltungen verbunden. Wir sagen: Freiwillige Zusatzqualifikationen für angehende Lehrer*innen reichen nicht aus, wir müssen aktiv die Lehrer*innenausbildung in ihren Pflichtbestandteilen umstrukturieren und den Herausforderungen der heutigen Zeit einen nicht streichbaren Platz im Studium schaffen.

Zuletzt sei nochmals auf die anfangs erwähnten Fort- und Weiterbildungen verwiesen. Wir finden, all diese Umgestaltungen der Ausbildung müssen simultan auch von bereits unterrichtenden Lehrer*innen getragen und angewandt werden. Daher fordern wir eine Vereinheitlichung und zentrale Koordination von der Aus-, Um- und Weiterbildung. Der Status Quo, dass sowohl die einzelnen Hochschulen, als auch die Studienseminare, als auch das jeweilige Kultusministerium, bestimmte Zuständigkeiten und eigenständigen Gestaltungsspielraum haben, macht die Umsetzung einer grundlegenden Neustrukturierung schwieriger als nötig.

Nur, wenn alle Teilbereiche der Lehrer*innenbildung, also Studium, Referendariat und Fort- bzw. Weiterbildungen gemeinsam reformiert und neustrukturiert werden, kann der dringend nötige Wandel bei der Ausbildung von Lehrenden gelingen. Dafür machen wir uns stark, das muss unser Schritt hin zu einem gerechteren, moderneren und sozialeren Schulsystem sein.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Wir fordern eine grundlegende Reform der Lehrer*innenbildung in Niedersachsen, die aktuelle Herausforderungen und Chancen effektiv aufgreift und thematisiert. Dazu zählt konkret für uns:

  • Wandel hin zu einer dynamischeren Lehrer*innenbildung, die nicht im Status Quo verhaftet bleibt,
  • ein verpflichtendes, flächendeckendes und schnell erreichbares Aus- und Fortbildungsangebot auch im ländlichen Raum, dass zentral gesteuert, attraktiv gestaltet und niedrigschwellig konzipiert ist,
  • das Lehramtsstudium kompetenzorientiert statt wissensvermittelnd aufbauen, Fachmodule im Bachelor durch (Sonder-)Pädagogik und Didaktik ersetzen,
  • inhaltliche und praxisnahe Schwerpunkte wie Inklusion, digitale Bildung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) verpflichtend in Studium, Vorbereitungsdienst und Weiter- und Fortbildung verankern,
  • alle Stufen der Lehrer*innenbildung selbst digitaler und inklusiver gestalten, um positive Orientierungen für Lehrer*innen zu schaffen,
  • organisatorisch und personell eine Vernetzung der Phasen der Lehrer*innenbildung fördern und fordern,
  • Ausfinanzierung und Förderung innovativer, landesweiter Forschungs- und Praxisprojekte, die laufend die Umstrukturierung der niedersächsischen Lehrer*innenbildung begleiten und evaluieren.

Wir nehmen den digitalen wie sozialen Wandel der Institution Schule auf und erkennen die Chancen und Möglichkeiten, um zu einem solidarischeren und besseren System zu gelangen, das Kinder und Jugendliche individuell fördert und auf das Leben in der modernen Gesellschaft vorbereitet. Dafür wollen wir die Grundlagen mit einer Reform schaffen.

 

Beschluss-PDF: