Es war das dramatische Symbol der humanitären Krise an der EU-Außengrenze, als im September 2020 das griechische Flüchtlingslager Moria in Flammen stand. Zuvor hatten 12.600 Geflüchtete in dem Camp gelebt, das für 2.800 Personen ausgelegt gewesen war. Im Dezember brannte auch das Lager im bosnischen Lipa. Die Zelte und die wenige Habe der Geflüchteten verbrannten dort mitten im Winter. In beiden Bränden zeigte sich die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit derjenigen, die nach Europa geflohen waren und nun in improvisierten Zeltstädten unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren mussten.
Die Zustände in Moria und Lipa passen weder zu unserer sozialdemokratischen Vorstellung von Europa noch zum bestehenden Selbstbild der EU: Einem Europa der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaats. Einem Europa, dass die Menschenrechte nicht nur postuliert, sondern auch tatkräftig verteidigt. Als niedersächsische SPD bekräftigen wir unser Bekenntnis zu einem Europa, das Humanität und Rechtsstaatlichkeit auch an seinen Außengrenzen hochhält.
Reform der EU-Asylpolitik
Spätestens seit 2015 wissen wir, dass das Dublin-II-System gescheitert ist. Geflüchtete müssen in dem EU-Staat einen Asylantrag anstellen, in dem sie angekommen sind. Dadurch werden die Staaten an der EU-Außengrenze mit der Verantwortung allein gelassen, finanzielle und organisatorische Lasten auf sie abgewälzt. Überforderung, Chaos und humanitäre Notsituationen, wie beispielsweise in Moria, sind daher auch die Konsequenz des Dublin-Systems. Wir halten an der Forderung nach einer gemeinsamen, solidarischen EU-Asylpolitik fest. In den europäischen Gesetzgebungsprozess muss Bewegung kommen. Hier ist vor allem der Rat der Europäischen Union gefordert, endlich eine konstruktive Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten zu entwickeln. Das Europäische Parlament hat bereits in der Entschließung vom 12. April 2016 ein einheitliches europäisches Asylsystem sowie faire und zuverlässige Verfahren, die auf dem Grundsatz der Nichtzurückweisung beruhen, gefordert. Die faktische Blockade durch den uneinigen Rat und die damit verbundene politische Hängepartie ist mitverantwortlich für die katastrophalen Zustände an der EU-Außengrenze. Hier zeigt sich nicht zuletzt, dass sich die EU insgesamt weiterzuentwickeln muss. Das Taktieren und Blockieren einzelner Staaten darf nicht weiter die EU insgesamt hemmen. Dass die sozialdemokratische EU-Innenkommissarin Johansson im September 2020 einen neuen Migrationspakt vorgeschlagen hat, um neue Kompromissmöglichkeiten auszuloten, ist grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings beobachten wir mit Sorge, dass der Fokus in der Debatte um den Migrationspakt oft zu sehr auf dem Aspekt der Rückführungen liegt. Angesichts der dramatischen Zustände in den Flüchtlingslagern und auf dem Mittelmeer ist nicht der Mangel an Rückführungen, sondern der Mangel an menschenwürdigen Lebensbedingungen und sicheren Fluchtwegen das drängendste Problem der EU-Asylpolitik.
Evakuierung in Notsituationen
So sehr wir auf die Reform der EU-Asylpolitik drängen, so bewusst ist uns auch, dass diese Reform nicht in kurzer Zeit abgeschlossen sein wird. Seit 2015 wird die Debatte über europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik geführt. Das Sterben im Mittelmeer, die Brände in Moria und Lipa, die Gewalt an der EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland wurden dadurch nicht verhindert. Wir setzen uns deshalb weiterhin dafür ein, in akuten Notsituationen gefährdete Menschen zu evakuieren und aufzunehmen. Der Verweis auf eine “europäische Lösung” darf nicht zur Ausrede werden, um dringend benötigte Soforthilfen zu verhindern. Die SPD-geführte niedersächsische Landesregierung hat bereits vor dem Brand in Moria unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus dem Lager evakuiert und auch nach dem Brand die Evakuierung von Geflüchteten ermöglicht. In Niedersachsen werden wir weiterhin diesen Weg der europäischen Solidarität und Humanität gehen. Wir wissen um die Weltoffenheit und die Aufnahmekapazitäten unseres Bundeslandes und wollen mit positivem Beispiel vorangehen. Uns ist aber auch klar: Die Bundesregierung ist in der Pflicht, diese Politik zu unterstützen. Die Aufnahmebereitschaft des Bundes nach dem Brand in Moria war der Notlage nicht angemessen – und das obwohl es durchaus weitere europäische Staaten gab, die zur Hilfe bereit waren. Das Bundesinnenministerium, unter Leitung von Horst Seehofer (CSU), hat die Möglichkeiten der Bundesrepublik, in dieser konkreten Notsituation zu helfen, nicht ausreichend genutzt. Nach dem Brand des Lagers im bosnischen Lipa war die europäische Aufmerksamkeit sogar noch geringer, als nach dem Brand in Moria. Wir werden dem Bund gegenüber deshalb weiter auf humanitäre Lösungen drängen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierzu mit dem Positionspapier „Menschlich und solidarisch: Ein sozialdemokratischer Weg für das Gemeinsame Europäische Asylsystem“ vom 16.06.2020 bereits einen wichtigen Vorstoß unternommen. Mit den niedersächsischen Kommunen, die wiederholt ihre Aufnahmebereitschaft bekundet haben, und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen werden wir eng zusammenarbeiten, um die vorhandenen Kapazitäten zu nutzen. Wir setzen uns dafür ein, dass aufnahmebereite Kommunen und Bundesländer die Möglichkeit bekommen, humanitäre Aufnahmeprogramme umzusetzen und nicht länger durch das Bundesinnenministerium ausgebremst werden.
Seenotrettung statt illegaler Pushbacks
1.116 Menschen fanden 2020 bei der Flucht über das Mittelmeer den Tod. Seit dem Auslaufen des Mandats für die Operation “Sophia” findet keine europäische Seenotrettung im Mittelmeer mehr statt. Stattdessen lastet die Verantwortung vor allem auf den Schultern von privaten Seenotretter*innen, die für dieses Engagement auch noch mit Kriminalisierung rechnen müssen. Gleichzeitig steht die europäische Grenzschutzagentur Frontex im Verdacht, sich an illegalen Pushbacks, also dem Abdrängen und Zurückweisen von Geflüchteten im Mittelmeer, beteiligt zu haben. Auch deutsche Bundespolizist*innen sollen am 10. August 2020 an einer Pushback-Aktion in der Ägäis beteiligt gewesen sein, bei der sie 40 Personen, darunter Frauen und Kinder, nicht rettete, sondern an der Weiterfahrt hinderten, sodass die griechische Küstenwache das Boot zurück in türkische Gewässer schleppen konnte. Immer wieder wird von solchen Verstößen gegen Völkerrecht und fundamentale Grundrechte berichtet. Dieses Grenzregime ist der Europäischen Union unwürdig. Wir Sozialdemokrat*innen verteidigen die Rechtsstaatlichkeit – nicht nur innerhalb der Union, sondern auch an unseren Grenzen. Boote mit Geflüchteten abzudrängen und zurückzuweisen ist nicht unsere Antwort auf Flucht und Vertreibung. Unsere Antwort bedeutet sichere Aufnahme, menschenwürdige Unterbringung und ein rechtsstaatliches Asylverfahren. Deshalb gehört die Grenzschutzagentur Frontex auf den Prüfstand. Unter Leitung von Fabrice Leggeri hat sie weniger mit der dringend benötigten Seenotrettung, als mit Zurückweisung von Schutzsuchenden, mit Intransparenz und Treffen mit der Rüstungslobby von sich reden gemacht. Wir schließen uns der Forderung der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament an: Frontex-Chef Leggeri muss zurücktreten. Personelle Konsequenzen werden jedoch nicht genügen. Wir fordern deshalb, dass europäischer Grenzschutz zwingend auch europäische Seenotrettung bedeuten muss und die strategische Ausrichtung von Frontex dahingehend geändert werden muss. Zudem muss die Arbeit der Grenzschutzagentur effektiver und unabhängiger kontrolliert werden. Der Verwaltungsrat der Agentur hat diesen Anspruch jüngst nicht erfüllen können. Wir begrüßen die kürzliche Einrichtung der Frontex Scrutiny Working Group im Europäischen Parlament, die überprüfen soll, ob Frontex Grundrechte einhält, und fordern eine Verstetigung dieser demokratischen Kontrolle.
Es war das dramatische Symbol der humanitären Krise an der EU-Außengrenze, als im September 2020 das griechische Flüchtlingslager Moria in Flammen stand. Zuvor hatten 12.600 Geflüchtete in dem Camp gelebt, das für 2.800 Personen ausgelegt gewesen war. Im Dezember brannte auch das Lager im bosnischen Lipa. Die Zelte und die wenige Habe der Geflüchteten verbrannten dort mitten im Winter. In beiden Bränden zeigte sich die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit derjenigen, die nach Europa geflohen waren und nun in improvisierten Zeltstädten unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren mussten.
Die Zustände in Moria und Lipa passen weder zu unserer sozialdemokratischen Vorstellung von Europa noch zum bestehenden Selbstbild der EU: Einem Europa der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaats. Einem Europa, dass die Menschenrechte nicht nur postuliert, sondern auch tatkräftig verteidigt. Als niedersächsische SPD bekräftigen wir unser Bekenntnis zu einem Europa, das Humanität und Rechtsstaatlichkeit auch an seinen Außengrenzen hochhält.
Reform der EU-Asylpolitik
Spätestens seit 2015 wissen wir, dass das Dublin-II-System gescheitert ist. Geflüchtete müssen in dem EU-Staat einen Asylantrag anstellen, in dem sie angekommen sind. Dadurch werden die Staaten an der EU-Außengrenze mit der Verantwortung allein gelassen, finanzielle und organisatorische Lasten auf sie abgewälzt. Überforderung, Chaos und humanitäre Notsituationen, wie beispielsweise in Moria, sind daher auch die Konsequenz des Dublin-Systems. Wir halten an der Forderung nach einer gemeinsamen, solidarischen EU-Asylpolitik fest. In den europäischen Gesetzgebungsprozess muss Bewegung kommen. Hier ist vor allem der Rat der Europäischen Union gefordert, endlich eine konstruktive Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten zu entwickeln. Das Europäische Parlament hat bereits in der Entschließung vom 12. April 2016 ein einheitliches europäisches Asylsystem sowie faire und zuverlässige Verfahren, die auf dem Grundsatz der Nichtzurückweisung beruhen, gefordert. Die faktische Blockade durch den uneinigen Rat und die damit verbundene politische Hängepartie ist mitverantwortlich für die katastrophalen Zustände an der EU-Außengrenze. Hier zeigt sich nicht zuletzt, dass sich die EU insgesamt weiterzuentwickeln muss. Das Taktieren und Blockieren einzelner Staaten darf nicht weiter die EU insgesamt hemmen. Dass die sozialdemokratische EU-Innenkommissarin Johansson im September 2020 einen neuen Migrationspakt vorgeschlagen hat, um neue Kompromissmöglichkeiten auszuloten, ist grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings beobachten wir mit Sorge, dass der Fokus in der Debatte um den Migrationspakt oft zu sehr auf dem Aspekt der Rückführungen liegt. Angesichts der dramatischen Zustände in den Flüchtlingslagern und auf dem Mittelmeer ist nicht der Mangel an Rückführungen, sondern der Mangel an menschenwürdigen Lebensbedingungen und sicheren Fluchtwegen das drängendste Problem der EU-Asylpolitik.
Evakuierung in Notsituationen
So sehr wir auf die Reform der EU-Asylpolitik drängen, so bewusst ist uns auch, dass diese Reform nicht in kurzer Zeit abgeschlossen sein wird. Seit 2015 wird die Debatte über europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik geführt. Das Sterben im Mittelmeer, die Brände in Moria und Lipa, die Gewalt an der EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland wurden dadurch nicht verhindert. Wir setzen uns deshalb weiterhin dafür ein, in akuten Notsituationen gefährdete Menschen zu evakuieren und aufzunehmen. Der Verweis auf eine “europäische Lösung” darf nicht zur Ausrede werden, um dringend benötigte Soforthilfen zu verhindern. Die SPD-geführte niedersächsische Landesregierung hat bereits vor dem Brand in Moria unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus dem Lager evakuiert und auch nach dem Brand die Evakuierung von Geflüchteten ermöglicht. In Niedersachsen werden wir weiterhin diesen Weg der europäischen Solidarität und Humanität gehen. Wir wissen um die Weltoffenheit und die Aufnahmekapazitäten unseres Bundeslandes und wollen mit positivem Beispiel vorangehen. Uns ist aber auch klar: Die Bundesregierung ist in der Pflicht, diese Politik zu unterstützen. Die Aufnahmebereitschaft des Bundes nach dem Brand in Moria war der Notlage nicht angemessen – und das obwohl es durchaus weitere europäische Staaten gab, die zur Hilfe bereit waren. Das Bundesinnenministerium, unter Leitung von Horst Seehofer (CSU), hat die Möglichkeiten der Bundesrepublik, in dieser konkreten Notsituation zu helfen, nicht ausreichend genutzt. Nach dem Brand des Lagers im bosnischen Lipa war die europäische Aufmerksamkeit sogar noch geringer, als nach dem Brand in Moria. Wir werden dem Bund gegenüber deshalb weiter auf humanitäre Lösungen drängen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierzu mit dem Positionspapier „Menschlich und solidarisch: Ein sozialdemokratischer Weg für das Gemeinsame Europäische Asylsystem“ vom 16.06.2020 bereits einen wichtigen Vorstoß unternommen. Mit den niedersächsischen Kommunen, die wiederholt ihre Aufnahmebereitschaft bekundet haben, und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen werden wir eng zusammenarbeiten, um die vorhandenen Kapazitäten zu nutzen. Wir setzen uns dafür ein, dass aufnahmebereite Kommunen und Bundesländer die Möglichkeit bekommen, humanitäre Aufnahmeprogramme umzusetzen und nicht länger durch das Bundesinnenministerium ausgebremst werden.
Seenotrettung statt illegaler Pushbacks
1.116 Menschen fanden 2020 bei der Flucht über das Mittelmeer den Tod. Seit dem Auslaufen des Mandats für die Operation “Sophia” findet keine europäische Seenotrettung im Mittelmeer mehr statt. Stattdessen lastet die Verantwortung vor allem auf den Schultern von privaten Seenotretter*innen, die für dieses Engagement auch noch mit Kriminalisierung rechnen müssen. Gleichzeitig steht die europäische Grenzschutzagentur Frontex im Verdacht, sich an illegalen Pushbacks, also dem Abdrängen und Zurückweisen von Geflüchteten im Mittelmeer, beteiligt zu haben. Auch deutsche Bundespolizist*innen sollen am 10. August 2020 an einer Pushback-Aktion in der Ägäis beteiligt gewesen sein, bei der sie 40 Personen, darunter Frauen und Kinder, nicht rettete, sondern an der Weiterfahrt hinderten, sodass die griechische Küstenwache das Boot zurück in türkische Gewässer schleppen konnte. Immer wieder wird von solchen Verstößen gegen Völkerrecht und fundamentale Grundrechte berichtet. Dieses Grenzregime ist der Europäischen Union unwürdig. Wir Sozialdemokrat*innen verteidigen die Rechtsstaatlichkeit – nicht nur innerhalb der Union, sondern auch an unseren Grenzen. Boote mit Geflüchteten abzudrängen und zurückzuweisen ist nicht unsere Antwort auf Flucht und Vertreibung. Unsere Antwort bedeutet sichere Aufnahme, menschenwürdige Unterbringung und ein rechtsstaatliches Asylverfahren. Deshalb gehört die Grenzschutzagentur Frontex auf den Prüfstand. Unter Leitung von Fabrice Leggeri hat sie weniger mit der dringend benötigten Seenotrettung, als mit Zurückweisung von Schutzsuchenden, mit Intransparenz und Treffen mit der Rüstungslobby von sich reden gemacht. Wir schließen uns der Forderung der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament an: Frontex-Chef Leggeri muss zurücktreten. Personelle Konsequenzen werden jedoch nicht genügen. Wir fordern deshalb, dass europäischer Grenzschutz zwingend auch europäische Seenotrettung bedeuten muss und die strategische Ausrichtung von Frontex dahingehend geändert werden muss. Zudem muss die Arbeit der Grenzschutzagentur effektiver und unabhängiger kontrolliert werden. Der Verwaltungsrat der Agentur hat diesen Anspruch jüngst nicht erfüllen können. Wir begrüßen die kürzliche Einrichtung der Frontex Scrutiny Working Group im Europäischen Parlament, die überprüfen soll, ob Frontex Grundrechte einhält, und fordern eine Verstetigung dieser demokratischen Kontrolle.