3/II/2020 Bildung einer Beschwerdestelle Polizei mit eigener Ermittlungskompetenz

  1. Das Land Niedersachsen führt eine unabhängige Kommission für Beschwerden in Polizeiangelegenheiten mit eigener Ermittlungskompetenz ein.
  2. Die SPD-Landtagsfraktion wird ersucht, entsprechend initiativ zu werden.

 

Begründung:

Die Forderung nach einer unabhängigen Kontrollstelle für polizeiliches Verhalten beschäftigt spätestens seit den Schüssen auf Benno Ohnesorg die politischen Gremien. Durch die jüngsten Vorgänge in Amerika ist die deutsche Polizei in den Fokus von intensiven Diskussionen geraten. Dabei wird sie undifferenziert der amerikanischen gleichgestellt.

Vor allem in den Sozialen Medien werden schwere Vorwürfe erhoben. Es geht um Rassismus und Polizeigewalt, ein Austausch von Meinungen findet fast nicht statt, die Auseinandersetzungen sind von zunehmender Polarisation und wachsender Emotionalität geprägt. Die Vorgänge in Amerika und deren Nichtbewältigung drohen auch die hiesige Haltung gegenüber der Polizei negativ zu emotionalisieren. Zu Unrecht wird die Polizei in den Fokus gerückt und zum Sündenbock für die sich verschärfenden sozialen und politischen Spannungen gemacht. Nicht selten gerät sie zwischen die Fronten und ist beleidigenden Vorwürfen, Beschimpfungen bis zu extremer Gewalt ausgesetzt.

Diese schwere Rolle der Polizei öffentlich zu würdigen ist Aufgabe der Politik. Hierzu gehört, den Menschen die Rolle als Polizei zu vermitteln, die sich dem Schutz unserer Demokratie verpflichtet fühlt. Gerade in der sich gegenwärtig zunehmend polarisierenden Gesellschaft ist es wichtig, die zur Erhaltung des demokratischen Miteinanders berufenen Schutzschilder zwischen den nicht immer friedlichen Interessengruppen zu stärken und aus der politischen Schusslinie zu nehmen. Im Zuge der weltweit expandierenden RassismusDiskussion muss das Verständnis der deutschen Polizei als Organ unseres demokratischen Staatswesens herausgehoben werden. Als Garant rechtsstaatlicher Verhältnisse ist ihr zu einer gesamtgesellschaftlich akzeptierten Rolle zu verhelfen. 

Demokratisch strukturierte Gewerkschaften und Personalvertretungen sind ein wichtiger Faktor, demokratiegefährdende Entwicklungen (wie jüngst beim Verfassungsschutz) zu verhindern. Hierzu ist ein freiheitlich-demokratisches Selbstverständnis der Polizei und das Verständnis für Menschen, die sich für den Erhalt unserer Demokratie einsetzen, zu fördern. 

Das der Polizei verliehene Machtmonopol muss deshalb einer gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz zugeführt werden – durch transparente Kontrolle auf Einhaltung der demokratischen Grundsätze. Für die aktuelle Rassismus-Diskussion heißt dies: Die Polizei muss sich dieser Aufgabe noch offensiver stellen und Verstöße nachvollziehbar und glaubhaft brandmarken. Gerade die Polizei muss erkennbar selbst zuvorderst dafür einstehen, dass Rassismus und Extremismus keinen Platz in ihren Reihen haben.  

Hierzu ist eine wirksamere und transparente Kontrolle polizeilichen Handelns zu schaffen. Für das Vertrauen – sowohl der Öffentlichkeit als auch der Polizei – in die Arbeit unabhängiger Polizeibeschwerdestellen ist es essenziell, dass diese möglichst umfassend Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen. Dazu gehören die Offenlegung von internen Richtlinien ebenso wie regelmäßige Tätigkeitsberichte und Überprüfung, ob die gesteckten Ziele auch erreicht werden – und vor allem Ermittlungskompetenz.

Zwar wurde in Niedersachsen 2014 eine Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizei geschaffen. Allerdings hat diese nach ihrer eigenen Leitlinie keine Ermittlungsbefugnisse.

In den Leitlinien für das Beschwerde- und Ideenmanagement der Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizei im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport vom 31.5.2016 heißt es hierzu: „Die Beschwerdestelle ist als Stabsstelle […] direkt dem Staatssekretär des MI unterstellt.“ Zum Verhältnis zu straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren heißt es: „Nach dem Beschluss der Landesregierung hat die Beschwerdestelle keine eigenen Ermittlungsbefugnisse. Sie hat auch keine dienst- oder disziplinarrechtlichen Befugnisse gegenüber den betroffenen Beschäftigten.“

Damit gibt es keinen regulären Weg, Vorwürfe gegen Polizisten unabhängig untersuchen zu lassen. Dies bemängelt das Deutsche Institut für Menschenrechte in einer Studie zu RechtAus menschenrechtlicher Sicht bleibt es unbefriedigend, dass die Landespolizeibeauftragten keine echten Ermittlungsbefugnisse haben und nur neben den eigentlichen Strafverfolgungsbehörden existieren.“ 

Das Institut fordert wie in Dänemark oder Belgien, unabhängige Beschwerdestellen einzurichten, damit etwa Strafanzeigen gegen Polizisten nicht mehr von den Kollegen dieser Polizisten bearbeitet würden. Im Interesse der Glaubwürdigkeit sollten externe unabhängige Institutionen errichtet werden – und zwar zusätzlich zum vorhandenen Instanzenzug. Diese in anderen Ländern etablierte Praxis liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Polizei selbst: Das vertrauensvolle Verhältnis zu einer demokratischen Polizei hilft, die PolizeiArbeit zu erleichtern und zu verbessern: Sie hilft, misstrauische Distanz und Feindbild der eigenen Freiheit zu überwinden. 

Beschluss: Annahme
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