11/I/2021 Für ein bedingungsloses Recht auf Weiterbildungszeit!

Status:
Erledigt

Wir fordern ein Recht auf präventive Weiterbildungszeit als die Arbeitnehmer*innen unterstützende Antwort auf Digitalisierung 4.0 und den mit der Energiewende verbundenen Strukturwandel. Dieses Recht auf präventive Weiterbildungszeit beruht auf zwei Säulen:

  1. Ein Recht auf befristete Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit mit besonderem Kündigungsschutz und Wiedereinstieg auf vorherigem Arbeitszeitniveau, um an einer Weiterbildungsmaßnahme zur beruflichen Fortbildung aber auch Umorientierung teilzunehmen.
  2. Eine staatlich finanzierte Lohnersatzleistung als Ausgleich für den mit der Arbeitszeitreduzierung verbundenen Einkommensverlust ist zu prüfen.

 

Begründung:

Dieser Antrag will ein Zeichen für die Erneuerung der SPD setzen, indem er eines unserer grundlegenden Ziele – der schon mit den ersten Arbeiterbildungsvereinen durch sonntägliche Bildung anvisierte Schutz des Arbeiters vor der Willkür des Arbeitgebers und des Marktes – in die heutige Zeit übersetzt. Dies bedeutet vor allem, in den aktuellen Diskussionen rund um Strukturwandel, Industrie 4.0 und Abbau bzw. Umbau von Arbeitsplätzen ganz klar die Rechte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken und an die erste Stelle zu setzen!

Wir packen das Übel an der Wurzel: Für ein bedingungsloses Recht auf Weiterbildungszeit statt Unvereinbarkeit mit Familie und Beruf!

Die Situation sieht doch so aus: Derzeit liegt die Entscheidungsgewalt für eine umfassende Weiterbildung nicht in erster Linie bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Grundsätzlich kann man sich natürlich immer weiterbilden, aber mit Ausnahme des “Bildungsurlaubs”, einem Rechtsanspruch auf 1 Woche Freistellung pro Jahr für individuelle Fortbildungen, muss man dies außerhalb der regulären Arbeitszeit machen, sofern man nicht – und hier liegt das eigentliche Übel – vom Arbeitgeber freigestellt wird. Wenn man sich also nicht gleich im Sinne des Arbeitgebers weiterbilden möchte, dann bleibt derzeit nur die Möglichkeit, dies auf Kosten z.B. von der Familie außerhalb der Arbeitszeiten zu machen. Gerade für intensive Fortbildungen oder sogar Neuanfänge ermöglichende Umschulungen bleibt erst recht keine Zeit. Das führt dazu, dass Statistisches Landesamt nur 12 Prozent der Erwerbstätigen im Landkreis Lüneburg 2017 an einer beruflichen Weiterbildung teilgenommen haben. Dies geht aus einer Stellungnahme der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Lüneburg hervor, die am 31. Januar 2019 in der Landeszeitung erschienen ist. In dieser Stellungnahme wird als Antwort auf diese viel zu geringe Quote in Zeiten des rasanten Wandels auf dem Arbeitsmarkt auch ein “Recht auf Weiterbildung” genannt, welches vor allem mit Blick auf Weiterbildungsmaßnahmen eine grundsätzliche Forderung des gesamten Deutschen Gewerkschaftsbundes ist.

Die Erweiterung und Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen kann aber nur zu einer höheren Weiterbildungsquote führen, wenn dies verbunden wird mit dem in diesem Antrag geforderten Recht auf Arbeitszeitreduzierung für Weiterbildungsmaßnahmen. Diese Arbeitszeitreduzierung soll verbunden werden mit einem besonderen Kündigungsschutz und dem Recht auf Wiedereinstieg wie bei der Elternzeitregelung. Damit ermöglichen wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, in Ruhe und ohne Angst um einen Arbeitsplatzverlust ihre Zukunft in Angriff zu nehmen, anstatt die Nacht zum Tag machen zu müssen – und sich auch den Wünschen des Arbeitgebers zu beugen: Es kann nämlich auch sein, dass man vielleicht einen anderen Beruf anstrebt und dafür nicht erst arbeitslos werden möchte?!

Damit aus der Arbeitszeitreduzierung keine existenziellen Probleme durch zu große Einkommenseinbußen mitten im Leben entstehen, wird dieses Recht finanziell durch eine staatliche Lohnersatzleistung unterstützt, die sich beispielsweise an den Regelungen zum Elterngeld orientieren, aber auch bis zu 100% des realen Einkommensausfalls betragen kann.

Diese beiden Forderungen stehen damit nicht konträr zur inhaltlichen Erneuerung der SPD, wie die Idee eines Grundeinkommensjahr für Weiterbildung von Lars Klingbeil zeigt. Es geht aber deutlich über unsere aktuellen Weiterbildungsbemühungen in der Großen Koalition hinaus, wie zum Schluss ein kurzer Blick in das aktuell besprochene “Qualifizierungschancengesetz” zeigen soll.

Das aktuelle “Qualifizierungschancengesetz” drängt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin in die Arme des Arbeitgebers

Aktuelle Bemühungen wie das neue “Qualifizierungschancengesetz” und eine nun startende “Nationale Weiterbildungsstrategie” von Bund, Ländern und Kommunen sollen zeigen, dass im Gegensatz zu früher, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer strukturellen Veränderungen der Wirtschafts- und Arbeitswelt ganz allein ausgesetzt waren, nun schon früh mit Fördermaßnahmen auf die durch Industrie 4.0, Mobilitäts- und Energiewende nahenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt reagiert wird. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert in seiner Stellungnahme vom September 2018 die Bemühungen aber als viel zu gering und fordert mindestens eine Verknüpfung mit Rechtsansprüchen auf Fördermaßnahmen. Zudem sieht Arbeitsminister Hubertus Heil die Verantwortung für die Weiterbildung weiterhin bei den Arbeitgebern, wenn er im Deutschlandfunk über “Qualifizierungschancengesetz” sagt: „Ordnungspolitisch bleibt es dabei. Das ist Aufgabe der Unternehmen selbst, in Weiterbildung und Qualifizierung zu investieren.“ Sowohl das kümmerliche Rechtchen auf Weiterbildungsberatung als auch die große Entscheidungsgewalt des (hoffentlich guten) Arbeitgebers führen dazu, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entweder erst arbeitslos werden müssen oder sich nur im Sinne der Arbeitgeber weiterbilden dürfen. Hier zeigt sich die grundsätzliche Neuorientierung dieses Antrags: Eine sozialdemokratische Arbeitsmarktpolitik muss die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei stärken, selbst zu entscheiden, ob wann, wie und mit welchen Inhalten sie sich weiterbilden lassen wollen!

 

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt durch Beschlussfassung Bundesparteitag 2019 und Regierungshandeln (Qualifizierungschancengesetz)